Elisabeth Bröskamp fragt nach
In Deutschland steigt die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit der Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung). Mehr als 250 000 Kinder und Jugendliche waren 2011 davon betroffen. Jungen dreimal so häufig wie Mädchen. In Rheinland-Pfalz liegen die Zahlen über dem Bundesdurchschnitt.
Die Einschulungspolitik, das schulische Umfeld und die Familiensituation spielen dabei auch eine Rolle. Auffällig ist insgesamt eine geringere Diagnosehäufigkeit in großen Städten gegenüber weniger dicht besiedelten Kreisen, also im ländlichen Raum.
Die Verordungszahlen von ADHS-Medikament-Methylphenidat gingen insgesamt im Jahre 2011 leicht zurück.
Dazu stellte die Landtagsabgeordnete Elisabeth Bröskamp ihre Anfrage an das zuständige Mainzer Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie.
- Wie viele Kinder und Jugendliche erhielten in den letzten fünf Jahren in Stadt und Kreis Neuwied die Diagnose ADHS (bitte nach Stadt Neuwied und Verbandsgemeinden getrennt beantworten)?
- Wie unterschiedlich stellt sich die Diagnose ADHS bei Jungen und Mädchen inden letzten Jahren dar?
- Wie hoch ist der Anteil an Kindern und Jugendlichen, die mindestens einmal das ADHS-Medikament Methyphenidat verordnet bekamen?
- Welche Therapiemaßnahmen (außer der Gabe von Methylphenidat) kommen in Stadt und Kreis Neuwied zum Einsatz?
- Wie erklärt sich die Landesregierung die unterschiedlichen Ursachen und Einflussfaktoren für die regionalen Unterschiede bei der Diagnose ADHS (Stadt-Land)?
- Welchen Zusammenhang sieht die Landesregierung zwischen ADHS-Diagnose und vorzeitiger Einschulung (Kann-Kinder) in Stadt und Kreis Neuwied?
- Ist der Zusammenhang (Frage 6) in Stadt und Kreis Neuwied signifikant?
Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie beantwortete die Kleine Anfrage wie folgt: (hier in gekürzter Form)
Zu Frage 1:
Die Anzahl der ADHS-Diagnosen (ICD F90) bei Kindern und Jugendlichen (im Alter von fünf bis 17 Jahren), die von Ärzten in der Stadt und im Landkreis Neuwied gestellt wurden, stellt sich nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz in den letzen Jahren wie folgt dar:
2013: 1 569 Diagnosen, 2014: 1 576 Diagnosen. Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist in den zugrunde liegenden Diagnose- und Verordnungsdaten keine Information über den Wohnort der Patientinnen und Patienten enthalten.
Zu Frage 2: Die geschlechtsspezifische Untergliederung ergibt eine deutlich höhere Diagnosehäufigkeit bei Jungen gegenüber Mädchen. Die Gruppe der Jungen hat einen Anteil von über 70 Prozent an den Diagnosestellungen ICD F90.
Zu Frage 3: Der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit der Diagnose ICD F90 (im Alter von fünf bis 17 Jahren), die in den letzten zwei Jahren im Landkreis Neuwied mindestens einmal den Wirkstoff Methyphenidat verordnet bekamen, stellt sich wie folgt dar: 2013: 763 Patientinnen und Patienten, 2014: 680 Patientinnen und Patienten.
Zu Frage 4: Aus den Anlagepapieren ergibt sich, dass im Landkreis Neuwied neben der medikamentösen Therapie (leitliniengerecht) ebenso psychotherapeutische Therapiemaßnahmen im Rahmen der Diagnosestellung ICD F90 bei Kindern und Jugendlichen zur Anwendung kommen.
Zu Frage 5: Aus den vorliegenden Zahlen sind Unterschiede bei der Häufigkeit einer ADHS-Diagnose oder Verordnung von Methylphenidat bei Kindern und Jugendlichen in Stadt und Kreis Neuwied nicht ableitbar. Zum einen beziehen sich die vorliegenden Daten ausschließlich auf die Diagnostik und Verordnung der ansässigen Ärzte, zum anderen weisen die vorliegenden Zahlen keine regionalen Auffälligkeiten auf.
Naheliegend erscheint die Vermutung eines Zusammenhanges der hohen Diagnose- und Verordnungsraten mit einer relativ gut ausgebauten Versorgung im Hinblick auf niedergelassene ärztliche Kinder- und Jugengpsychiater beziehungsweise Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Geht es um die Ursache dieser Unterschiede, können die Wissenschaftler allerdings nur Vermutungen anstellen. “Möglicherweise fallen hyperaktive Kinder in ländlichen Gegenden eher auf, als in der Stadt”, lautet eine Hypothese. Eine andere besagt: “Ebenso wirkt sich der Sozialstatus einer Familie aus. Am höchsten sind sie in Rheinland-Pfalz, im Sauerland und in Hamburg.
Betrachtet man aber die Dosierungen, verschieben sich die Ergebnisse wieder: In Rheinland-Pfalz beispielsweise werden zwar mehr ADHS Patienten medikamentös behandelt, allerdings verordnen die Ärzte in diesem Bundesland niedrigere Dosierungen.
Zu Frage 6 und 7: Ob es einen (signifikanten) Zusammenhang zwischen vorzeitiger Einschulung in Stadt und Kreis Neuwied und einer ADHS-Diagnose gibt, lässt sich aufgrund fehlender Daten nicht beantworten. Kinder, die noch nicht schulpflichtig sind, können auf Antrag der Eltern in die Grundschule aufgenommen werden, wenn aufgrund ihrer Entwicklung zu erwarten ist, dass sie mit Erfolg am Unterricht des 1. Schuljahres teilnehmen werden. Über die Aufnahme der sogenannten “Kann-Kinder” entscheidet die Schulleiterin oder der Schulleiter der jeweiligen Grundschule im Benehmen mit der Schulärztin oder dem Schularzt auf Basis der ärztlichen Schuleingangsuntersuchung, als wichtigen Teil des Schulaufnahmeverfahrens: Die ärztliche Schuleingangsuntersuchung hat unter anderem zur Aufgabe, Schulreife und schulrelevanten Förderbedarf festzustellen.
„Wir müssen sehr genau hinsehen, wenn so viele Kinder und hier insbesondere Jungen diese ADHS-Diagnose erhalten. Wir dürfen nie vergessen, dass Kinder unterschiedliches Temperament und unterschiedliche Charaktere haben. Vielleicht ist es unter anderem auch die öffentliche Kritik, weshalb die Verschreibungspraxis rückläufig ist. Erstaunlich ist jedoch, dass, seitdem ich Anfragen zu ADHS gestellt habe, mich viele Emails und Veranstaltungseinladungen der Pharmaindustrie erreichen,“ so Elisabeth Bröskamp.